Gerd Kästel – „Vieles schien unerreichbar“
Ein Studien-Angebot zum MAS- Schaft an einem Tag im Jahre 09/2005, ermöglichte mir erstmals eine neue Dimension im Orthopädie + Vital Zentrum Markus Piro zu testen.
Warum betreibt ein amputierter Mensch solchen Aufwand?
Einzig und allein um am Leben teilzuhaben, oder sich mit vielen abzufinden?
Unvorstellbar der Aufwand an Zeit, Kosten und Kilometern welche über 25 Jahre zurückgelegt wurden, von Gera – Berlin – Dresden – Bayern, Duderstadt und Eisenberg. Beim Überrechnen der km, komme ich schon auf eine Erdumrundung.
Immer auf der Suche nach einem funktional passenden Oberschenkelschaft.
Meine eigenen Ansprüche waren sicher sehr hoch, gemessen an meinen Aktivitäten und Ansprüchen an das Leben wiederum recht gering.
Schmerzfreies Prothesengehen über einen Tag, ohne sich ständig aufzureiben.
Kein jahrelanges Pflaster tragen an offenen Stellen usw.
Jede Gesellschaft gibt und verlangt eine Gegenleistung von seinen Menschen.
Als Sozialarbeiter an einem Klinikum der Maximalversorgung über 26 Jahre, ehrenamtliche Funktionen als Sozial- und Arbeitsrichter, Vertrauensmann der Schwerbehinderten Menschen, Versichertenältester einer Krankenkasse, Tischtennistrainer, Mitglied Widerspruchsausschuss einer Berufsgenossenschaft, Vorsitzender einer Selbsthilfegruppe sowie Sprecher einer Gruppe in der Ehrenamtszentrale.
Nicht zu vergessen Familienvater zweier Kinder mit Haus, Hof, Garten und zwei Katzen.
Freizeitaktivitäten wie Tischtennis, Fahrradfahren, Barfuss am Strandgehen, Sauna – u. Schwimmen gehen, sowie aktive Urlaubsreisen waren nur eingeschränkt möglich.
Als Thüringer Selbsthilfegruppe organisierten wir mit, ein erstes bundesweites Treffen Arm- und Beinamputierter Menschen im neuen Orthopädie + Vital Zentrum M. Piro in Villingen Schwenningen im Mai 2008.
Nach diesem Treffen verstand ich meine Situation noch besser, welches Glück ich hatte nach ca. 25 Jahren erstmals schmerzfrei aktiv mit einer Prothese gehen zu können.
Mit einem Treffen war erstmals öffentlich ein Zeichen gesetzt worden, wie es um die Versorgung Amputierter Menschen in Deutschland aussah.
Viele der bundesweit angereisten Arm- und Beinamputierten Menschen beklagten ihre derzeitige Versorgung speziell im Schaftbereich.
Ein Dankeschön wäre zu wenig
Nach unserer Einschätzung wurde in Villingen/Schwenningen erstmals bundesweit, ein
Orthopädie + Vital Zentrum für Amputierte Menschen aufgebaut.
Eine eigene ambulante Gehschule mit Physiotherapie, Sporthalle mit 25 Meter Rampe, Außenteststrecke von ca. 1000 m2, Video u. Bilddokumentation sowie herzliche und sehr motivierte Mitarbeiter.
Besonders positiv wurde bemerkt, dass der Geschäftsführer selbst Betroffene als kompetente Orthopädiemeister mit beschäftigt.
Mit dem ersten Schaft nach MAS, machte das Leben auf einmal viel mehr Freude.
Die Prothese konnte ohne Unterbrechung den ganzen Tag getragen werden.
Zusätzlich zum optimalen Prothesenschaft kam eine perfekte Justierung des C-Leg dazu.
Tischtennisspielen über 3-5 Stunden, spazieren gehen über mehrere Kilometer war ohne Einschränkungen möglich. Aktives Fahrradfahren, Theaterbesuche, Eventveranstaltungen besuchen, viele kleine Dinge im Haushalt verrichten, Urlaubsplanungen u. vieles mehr.
Seit vielen Jahren bestand ein Kindheitstraum, einmal rund um Island zu reisen.
Im Juni 2006 war dies endlich mit dem neuen Schaft möglich Island – Insel aus Feuer u. Eis sowie zwei Tage Grönland zu besuchen. Mit einem Geländewagen-Bus 2000 km Island als eines der schönsten Reiseländer – in 9 Tagen mit besonderen Naturwundern erleben zu dürfen.
Eine weitere Abenteuerreise war im Mai 2010 die Liparischen Inseln. Bei über 35 Grad auf dem Ätna mit Wanderschuhen unsere Reisegruppe zu begleiten, dieser Bergführer war schon etwas irritiert, als er in der Berghütte von meiner Oberschenkelamputation erfuhr.
Bei all diesen Reisen war mir stets bewusst, dass dies nur unter ganz bestimmten Vorraussetzungen möglich wurde. Ich habe nie aufgehört nach einer optimalen Versorgung Ausschau zu halten.
„Das Glück besteht darin, zu leben wie alle Welt, doch so zu sein wie kein anderer.“
(Simone de Beauvoir)
Mit diesen Gedanken möchte ich vielen Mut machen nicht aufzugeben.
Mit herzlichen Grüßen
Gerd Kästel Gera, 23.04.2011


